Beyond Reality: Zeitgemäßes Lernen mit Augmented, Mixed und Virtual Reality
Die Welt verändert sich konstant, ebenso unser Alltag und die Lebenswelt unserer Schülerinnen und Schüler. Das einzige, was sich nicht oder nur sehr schwerfällig verändert, ist das System Schule. Dabei liegen enorm große Potenziale zur Transformation des Lernprozesses in den Technologien, die uns aktuell zur Verfügung stehen.
Auch wenn die Bildungspläne verschiedener Länder einen anderen Eindruck vermitteln, so ist das aktuelle Schulsystem in großen Teilen noch sehr konservativ auf Wissenserwerb ausgerichtet. Dies entspricht jedoch nicht der gesellschaftlichen Entwicklung im Zeitalter der digitalen Transformation. Wissen ist überall verfügbar und hat damit an Wert verloren. An Wert gewonnen haben in der „realen Welt“ jedoch Kompetenzen, die uns dabei helfen, mit diesem Wissen umzugehen und es zur Partizipation in der Gesellschaft zu nutzen. Dabei sind vor allem, aber nicht nur, Kompetenzen wie die 4K gefragt: Kollaboration, Kommunikation, Kreativität und Kritisches Denken. Diese Kompetenzen kann man mit digitalen Medien sehr gut trainieren, ohne fachliche Aspekte aus dem Blick zu verlieren.
Primär geht es bei der Bildung ja darum, dass Kinder und Jugendliche nach ihrem Abschluss mündige Bürger der Gesellschaft sind und diese mitgestalten können. Diesbezüglich setzen wir uns pädagogische Ziele, die wir dank unserer pädagogischen Freiheit und selbstredend im Rahmen des Datenschutzes auf unterschiedliche Weise erreichen können.
Mit freundlicher Genehmigung von Sylvia Duckworth
Beispielsweise unter Zuhilfenahme des SAMR-Modells kann jede Lehrkraft für sich selbst entscheiden, ob sie mit oder ohne Technologie ihre Ziele am besten erreichen kann und wie die Technologie am besten eingesetzt werden sollte: Wenn das Ziel am besten erreicht werden kann, indem ein analoges durch ein digitales Medium ersetzt wird (Substitution) oder ggf. dank der Technologie das digitale Medium das analoge nicht nur ersetzt, sondern mehr Funktionen mit sich bringt (Augmentation), dann ist es durchaus legitim, den Unterricht damit anzureichern (Enhancement). Dies bedeutet jedoch, dass traditionelle Konzepte des Unterrichts, das Lehrkonzept, erhalten bleiben und die digitalen Elemente als Phasen in einen klassischen Unterricht eingebunden werden. Dabei steht primär die Lehrkraft im Mittelpunkt und lenkt den Lernprozess der Lernenden. In der Regel hat die Lehrkraft auch bereits eine konkrete Vorstellung davon, was am Ende des Prozesses als Ergebnis stehen soll.
Ermöglicht uns jedoch der Einsatz von Technologie, unser pädagogisches Ziel besser zu erreichen, indem wir die Aufgaben anders gestalten (Modification) oder gar indem wir die Definition von Bildung und Schule in Frage stellen, weil wir dank der Technologie plötzlich Dinge tun können, die früher unmöglich waren (Redefinition), dann kommt es zu einer Transformation des Lernprozesses. Dabei steht der Lernende im Mittelpunkt und wird zum Akteur seines Lernprozesses. Die Rolle der Lehrkraft ist hier nicht weniger bedeutend als früher, aber sie wird ebenfalls neu definiert. Anstatt die Wissenshoheit zu haben und Wissen weiterzugeben, hilft sie dem Lerner bei seinem individuellen Lernprozess anstatt ihn in eine bestimmte Richtung zu lenken.
Der Begriff “Extended Reality“ ist ein Sammelbegriff für verschiedene Arten der „erweiterten“ Realität. Er umfasst Augmented, Mixed und Virtual Reality. Dank dieser Begrifflichkeit wird klar, dass es hier nicht um das Gegenstück zur „realen“ Realität geht, sondern um eine Erweiterung des Realitätsspektrums. Dies entspricht der Lebensrealität der heutigen Lernenden, die nicht mehr online „gehen“, sondern online „sind“, weil es für sie einen fließenden Übergang zwischen Online-Welt und Offline-Welt gibt.
Extended Reality | Definitionen von Stephanie Wössner | CC BY-SA
Augmented Reality bedeutet, dass virtuelle Elemente die „reale“ Welt überlagern. Es handelt sich also um eine digitale Erweiterung der Realität. Die Interaktion mit diesen virtuellen Elementen beschränkt sich in der Regel auf Touchgesten auf einem Bildschirm. D.h. ein (in der Regel mobiles) Endgerät steht zwischen den virtuellen Elementen und dem Körper bzw. dem Tastsinn.
Bei Mixed Reality handelt es sich zwar auch um eine digitale Erweiterung der realen Welt, jedoch verschmelzen die Grenzen zwischen der virtuellen Welt und der realen Welt hier zunehmend. Dies liegt darin begründet, dass die Interaktionsmöglichkeit mit den virtuellen Elementen dank einer haptischen Komponente größer ist und es somit eine funktionale Erweiterung gibt. Dies entspricht u.a. der Definition von Mixed Reality, die Microsoft propagiert. Beispielsweise bei der HoloLens wird mit den der Realität überlagerten virtuellen Elementen mit Gesten interagiert. Andere Mixed Reality-Headsets, die Microsoft verkauft, entsprechen jedoch aktuell eher Virtual Reality Headsets. Ein weiteres – und preislich erschwingliches – Beispiel für Mixed Reality ist der MergeCube, ein kleiner Würfel, den man kaufen oder aus Papier selbst basteln kann. Den Würfel nimmt man in die Hand und projiziert mit einem mobilen Endgerät virtuelle Inhalte. Die Interaktion findet jedoch anders als bei Augmented Reality haptisch mit dem Würfel statt, nicht mit dem Bildschirm des mobilen Endgeräts.
Bei der virtuellen Realität schließlich geht es um eine computergenerierte Realität, in die man – mit oder ohne VR-Headset – mit allen Sinnen eintaucht und mit der man interagieren kann. Die Intensität der Interaktion ist hier ausschlaggebend für das Gefühl der Präsenz in der virtuellen Welt. Hat man lediglich die Möglichkeit, die virtuelle Realität zu betrachten, wie dies bei 360-Grad-Fotos der Fall ist, ist das Gefühl der Präsenz zwar vorhanden, jedoch ist es viel geringer, als wenn man Elemente in dieser Welt beispielsweise modifizieren kann. Die größten Grade der Interaktion erreicht man, wenn man selbst die virtuelle Welt mitgestalten kann oder sogar ein Feedback von ihr erhält. Dies erklärt vermutlich teilweise die Faszination von Jugendlichen für virtuelle Welten wie Minecraft, und hier liegt eins der größten Potenziale von Extended Reality beim zeitgemäßen Lernen.
Vgl. Metzger C. & Schulmeister R. (2004). http://www.rolf.schulmeister.com/pdfs/Interaktivitaet_Gebaerden.pdf
Wenn man Extended Reality und zeitgemäßes Lernen zusammenbringen möchte, ist dies anhand des SAMR-Modells sehr einfach zu beschreiben:
Natürlich kann man XR im Bereich des Anreicherns von Unterricht nutzen, indem die Lehrkraft Content produziert oder fertige Apps in den Unterricht einbaut, um das pädagogische Ziel zu erreichen. Hier gibt es im VR-Bereich zum Beispiel die Nutzung von Google Expeditions und 360°-Fotos und -Videos oder im AR-Bereich ein interaktives Arbeitsblatt, welches angereichert ist mit Videotutorials, versprachlichten Aufgabenstellungen (z.B. für Schüler mit LRS) und Lösungen. Ob man das pädagogische Ziel damit wirklich so viel besser erreicht, sei dahingestellt.
Möchte man jedoch die wahren Potenziale von Extended Reality nutzen, so sollte man sich im SAMR-Modell in den Bereich der Transformation vorwagen und den Lernenden Lernaufträge geben, die ihnen die Möglichkeit bieten, sich unter einer für sie relevanten Zielsetzung Wissen zu erarbeiten und dieses Wissen anzuwenden, indem sie selbst Extended Reality-Inhalte gestalten. Dabei wird sowohl Fachwissen erworben und angewandt, als auch Kompetenzen trainiert.
AR: Die Lernenden gestalten kooperativ eine Ausstellung zu einem bestimmten Thema. Sie produzieren dazu ein analoges Medium (z.B. ein Bild), welches mit digitalen Inhalten angereichert wird. Diese digitalen Inhalte können z.B. Audioelemente sein, die das Bild beschreiben, oder aber ein Greenscreenvideo, welches das analoge Bild zum Leben erweckt. Die Ausstellung kann an einem realen Ort stattfinden und die interaktiven Inhalte erwecken die Ausstellung zum Leben.
Beispiel einer Lernenden: Stadtführung durch Paris | (c) Stephanie Wössner [App: xPpanda herunterladen und Bild scannen]
MR: Die Lernenden erstellen im Fremdsprachenunterricht einen Vokabelwürfel zu einem bestimmten Thema. Dazu finden sie z.B. Bilder von Tieren, die sie in CoSpaces Edu auf den MergeCube „kleben“ und vertonen. Das Ganze kann auch durch ein kleines Vokabelspiel im Anschluss ergänzt werden. Jeder Schüler erhält idealerweise ein anderes Thema, sodass nach Fertigstellung des Projekts unterschiedliche Themenwürfel zur Verfügung stehen, die alle Lernenden ggf. auch klassenstufenübergreifend zum Vokabellernen verwenden können. Ähnliches ist auch möglich im Bereich Kopfrechnen.
In den beiden folgenden Projekten – sie stehen bereits auf TeachOz zur Verfügung – gibt’s konkrete Anwendungsmöglichkeiten im Unterricht: einen MergeCube zum Kopfrechnen oder mit VR: Die Lernenden erstellen ein interaktives Museum, um ein Thema zu präsentieren oder lesen einen Roman und machen ihn arbeitsteilig in VR erlebbar.
Um die oben genannten Beispiele zur verwirklichen muss man nicht Informatik studiert haben. Im Folgenden sollen einige Tools kurz vorgestellt werden. Tutorials dazu werden – falls vorhanden – ebenfalls integriert.
Hinweis: Ein Bastelbogen für den MergeCube kann hier heruntergeladen werden: http://mergecube.com/paper
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